Wednesday 25 February 2015

Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

Die Morgensonne goss Gold über die höchsten Gipfel des Dartmoor-Massivs, aber im Schatten war der Boden immer noch mit dünnem Frost überzuckert. Lichtstrahlen tasteten das Land ab wie riesige Taschenlampen und zeichneten ihm den Weg vor. Es würde wieder ein schöner Tag werden. (S. 85)

Harold ist frischgebackener Rentner, als er von seiner ehemaligen Kollegin Queenie einen Brief erhält, der sein Leben für immer verändern wird. Queenie ist schwer an Krebs erkrankt, und wird nicht mehr lang zu leben haben. Harold, der Queenie seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat, beschließt aus einer Laune heraus, ihr den Antwortbrief nicht zu schicken, sondern ihn ihr persönlich vorbeizubringen; den ganzen weiten Weg durch halb Groß Britannien. 
Harold geht und geht, zu Anfang noch ganz langsam und gemächlich, mit der Zeit immer entschlossener, und immer mit dem Ziel, Queenie zu retten vor den Augen. Viele Gedanken gehen Harold durch den Kopf, er denkt an die Beziehung mit seiner Frau, die längst nicht mehr liebevoll ist, an die Beziehung zu seinem Sohn, die immer schon schwierig war, an Dinge, die längst vergangen sind, und die man nicht mehr ändern kann, auch wenn man das auch noch so gerne möchte. 
Harold nimmt viel von der Gegend wahr, Dinge, die man in unserer schnelllebigen Gesellschaft nur noch maximal aus den Augenwinkeln sieht, und auch dann nicht wirklich erkennt. Er lernt auf seiner Reise viele sehr unterschiedliche Menschen kennen, Menschen, mit denen er früher vermutlich niemals auch nur ein Wort gewechselt hätte, aber er lernt, alle Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Selbst als diese neue Eigenschaft für ihn und sein Ziel, Queenie noch zu Lebzeiten zu erreichen, zur Gefahr wird, hält er treu daran fest, und hofft, dass sich seine Probleme von selbst in Wohlgefallen auflösen...

Harold Fry ist ein wundervoller Charakter, die Geschichte einfach geschrieben, und trotzdem sehr tiefgreifend, speziell der Beginn der Geschichte - bis Wilf ins Spiel kommt - ist wundervoll erzählt. Einiges, was danach passiert, war mir zu rasch, die bis dahin sehr getragene Geschichte bekommt ein Tempo, mit dem ich aufgrund der gewohnten Gemütlichkeit nicht viel anfangen konnte, ich war richtig froh, als diese Passage des Buches vorbei war. Trotzdem kriegt Harold bzw. Rachel Joyce die vollen 10 von 10.
Ich hatte dieses Buch schon ziemlich lange daheim rumliegen, gekauft hab ich es damals ausschließlich aufgrund des Einbandes (und deshalb auf deutsch, weil die winzigkleine Buchhandlung, wo ich es damals her hatte, nur deutsche Bücher führte), die sehr einfache und doch sehr schöne Gestaltung hat mich auf eine wunderbare Geschichte (vielleicht sogar im Stil des Henry N. Brown) hoffen lassen, und ich wurde nicht enttäuscht. So ein tolles Buch, das vermutlich noch dazugewonnen hat, weil ich es immer nur vor dem Einschlafen gelesen habe, wo ich ohnehin recht entspannt bin, und die Geschichte voll auf mich wirken lassen kann... Ein Hammer! Ich habe inzwischen gesehen, dass es eine Fortsetzung gibt, aber ich bin noch nicht sicher, ob ich sie lesen möchte... noch bin ich wohl nicht bereit, mir Queenies Seite anzuschauen.

Auf meinem Nachttisch liegt jetzt Terry Pratchett mit "Ab die Post" (ausgeborgt, und auch auf deutsch), mein allererster Scheibenweltroman.

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